Pharao Tutanchamuns Tod
Ein Artikel von Ulf Schimanski
07.05.2005
Wie starb Tutanchamun im Jahr 1323 vor Christus wirklich? Und was passierte dann mit dem Körper des Kindkönigs der 18. Dynastie?
Um dies zu klären, machten sich Anfang des Jahres Forensiker, Anatomen und Radiologen auf ins Tal der Könige und holten den Leichnam aus der Grabkammer mit der Nummer KV 62.
Frank Rühli, Anatom an der Universität Zürich, gehörte zu den Experten, die für die ägyptische Altertümerverwaltung die Bilder begutachteten. »Es waren Aufnahmen von hervorragender Qualität«, lobt der Schweizer die Felddiagnostik aus dem Wüstensand. In den Aufnahmen lässt sich vieles über Leben und Tod des Kindkönigs nachlesen.
Seit der britische Ägyptologe Howard Carter 1925 die Mumie erstmals untersuchte, nahm sich jede Wissenschaftlergeneration den Leichnam erneut vor, jede auf ihre Weise mit den jeweils modernsten technischen Mitteln. Carter und sein Team hatten vor allem eines im Sinn: Gold. Eine Totenmaske, ein prächtiger Brustschmuck (Pektorale) und Amulette schmückten den Toten. Da müsse noch mehr im Innern der Mumie stecken, dachten die Forscher. Was sie mit Tutanchamun anstellten, verdient den Namen Leichenfledderei. Der Pharao war durch verlaufene und ausgehärtete Balsamierungsflüssigkeit fest mit dem Sarkophag verkleistert. Auch die Maske klebte zäh am königlichen Kopf. »Die Einbalsamierer haben es etwas zu gut gemeint«, kommentiert Rühli die Anhänglichkeit des Pharaos an sein Ruhebett. »Überschüssige Flüssigkeit ist ausgelaufen und hat die Mumie im Sarg festzementiert.« Als Ganzes konnten Carters Goldsucher den Körper nicht lösen. Also zerstückelten sie den einstigen Herrscher über Ober- und Unterägypten in handlichere Teile. Den Rumpf hackten sie in der Mitte durch, sägten die Beine ab, auch die Arme. Sie liegen heute nicht mehr gefaltet auf der Brust des Toten, sondern neben ihm. Der Kopf schließlich ließ sich nur mit erhitzten Messern aus der Totenmaske hebeln.
Schonender waren die Methoden der nächsten, eher an Erkenntnissen denn an Gold interessierten Generation. 1968 rückte Ronald G. Harrison von der University of Liverpool mit einem Röntgengerät im Tal der Könige an, zehn Jahre später noch einmal sein Kollege James E. Harris von der University of Michigan. Die Röntgenbilder erlaubten einen ersten Blick auf die königlichen Knochen. Schon damals fielen Knochensplitter auf, die lose im Inneren des Schädels lagen. Sie gaben Anlass zu Spekulationen, man munkelte von Königsmord durch einen Schlag auf den Hinterkopf.
Es war eine Art Haufen von Lumpen und Körperresten, den die Wissenschaftler jetzt durchleuchten durften. Zunächst ging es ihnen darum, die verschiedenen Verletzungen zu datieren, um mehr über das Leben und Sterben Tutanchamuns zu erfahren. Danach galt es festzustellen, welcher Knochen von wem gebrochen wurde, ob tatsächlich eine schwere Verletzung zum Tod des jungen Königs führte, ob die Einbalsamierer unachtsam mit ihm umgegangen waren und welche Brüche auf das Konto von Carter und Kollegen gingen.
Einige Verletzungen lassen sich nun leicht erklären. Das Fehlen der Nasenscheidewand ist mit einiger Sicherheit auf die Einbalsamierer zurückzuführen. Sie entfernten das Gehirn durch die Nase und flößten auf diesem Weg Konservierungsflüssigkeit ein. Dabei störte die Nasenscheidewand, sie fehlt bei den meisten Mumien.
Schwieriger wird die Deutung der Verletzungen an den Nackenwirbeln und am Foramen magnum, dem Loch an der Schädelunterseite. Vielleicht haben auch hier die Balsamierer mit Gewalt natürliche Körperöffnungen geweitet. Einige der Wissenschaftler glauben, dass die Präparatoren neben der Nase auch den einfacheren Weg durch den Schädelboden nutzten, um das verflüssigte Gehirn austropfen zu lassen und anschließend die Höhle mit Harz auszugießen. Oder zerhackten erst rund dreitausend Jahre später Carters Messer Wirbel und Schädel, um die Goldmaske abzunehmen? Die neuen Aufnahmen zeigen, dass die Splitter von den Nackenverletzungen stammen. Damit verfällt die Mordtheorie. Der Schädel ist noch intakt.
Schwieriger zu interpretieren ist der Bruch des linken Oberschenkelknochens. Anders als die von Carter verursachten Frakturen (mit meist glatten Schnitt- oder Hackflächen), sind die Kanten dieses Bruches rauer, und zwischen ihnen liegen zwei Schichten Balsamierungsharz. Die Kniescheibe fehlt, sie liegt neben der linken Hand. Nach Berichten von Carter war sie in den 1920er Jahren noch am Platz, wenn auch lose – was immerhin auf eine schwere Verletzung in dieser Region hindeutet. Der Bruch ist nie verheilt, er muss also höchstens einige Tage vor dem Tod oder gar danach entstanden sein. Möglicherweise hatte sich der Pharao das Bein gebrochen.
Ein solcher Bruch ist meist nicht tödlich, oft aber reißt der splitternde Knochen eine offene Wunde. Eine Infektion, so genannter Wundbrand, hätte dann den König ins Jenseits befördern können. Dagegen spricht jedoch, dass eine solch schwere Verletzung immer einen großen Bluterguss zur Folge hat, der sich nach dem Tod nicht mehr auflöst. Das blutgetränkte Gewebe müsste auf modernen Röntgenbildern gut erkennbar sein. Doch davon keine Spur. Vielleicht waren auch hier die Einbalsamierer zu grob mit der Leiche umgesprungen. Oder sie hatten gründlich gearbeitet und den Bluterguss mit Essenzen weggespült.
Eindeutig erst nach dem Tod schlug jemand in den Brustkorb des Kindkönigs ein klaffendes Loch. Das Brustbein und Teile der Rippen fehlen. Die Rippenbögen wurden mit einem scharfen Gegenstand glatt abgeschnitten. Zwar könnten die Einbalsamierer Tutanchamun aufgeschnitten haben, als sie die inneren Organe aus dem Körper entfernten. Aber die wahrscheinlicheren Täter sind Carter und sein Team.
Die neuen Aufnahmen brachten vor allem auch Licht in das Leben des ägyptischen Herrschers. Jetzt steht fest, dass er ein gesunder Bursche war. Die Knochen zeigen keine Spuren von Mangelernährung oder schweren Krankheiten. Er war etwa 1,70 Meter groß und schlank, fast grazil, der Hinterkopf lang gestreckt. Nach den früheren Röntgenaufnahmen glaubten einige Forscher, dies sei auf den Brauch zurückzuführen, Kleinkindern die Köpfe fest einzuwickeln. Langschädel galten im alten Ägypten als Schönheitsideal.
Doch die Fotos zeigen, dass keine Amme den königlichen Kopf formte. Eine solche Tortur hätte die Nähte zwischen den Schädelknochen verzogen. Bei Tutanchamun sind sie jedoch absolut normal. Ihr Verwachsungsgrad spricht dafür, dass der Pharao bei seinem Tod etwa 19 Jahre alt war. Auch die noch nicht hervorgebrochenen Weisheitszähne sprechen für dieses Alter. Als hübschen Teenager kann man den König dennoch kaum bezeichnen. Sein Gaumen war gespalten. Nicht so weit, dass sich die Deformation in einer Hasenscharte niedergeschlagen hätte. Aber möglicherweise zog die Spalte die Schneidezähne in eine Schiefstellung. Diese waren zudem sehr groß und standen vor – wie bei allen seinen engen Verwandten. Das göttliche Kind hatte ein Hasengebiss.
Interessante Einblicke geben die neuen Aufnahmen in die Arbeit der Einbalsamierer. Sie werden nicht nur als Verstümmler überführt, sondern auch entlastet. Bislang hielten viele Wissenschaftler Tutanchamuns Mumifizierer für schlampig, als hätten sie ihre Arbeit unter großer Hast ausgeführt. Nun zeigt sich das Gegenteil. Für die Präparation des Pharaos pumpten sie fünf verschiedene Harze und Öle durch diverse Körperöffnungen in den Leichnam. »Noch kaum haben wir in einer Mumie so viele Balsamierungssubstanzen unterscheiden können«, staunt Frank Rühli. »Normal wären zwei oder drei.«
Die unterschiedliche Dichte der Rezepturen ist gut erkennbar. Wozu die einzelnen Präparate dienten, weiß man nicht, aber jeder dieser Arbeitsgänge erforderte viel Zeit. Die Sorgfalt hatte ihren Preis: »Mit jedem neuen Balsamierungsdurchgang schädigten sie den Leichnam noch mehr«, erklärt der Anatom.
Die inneren Organe Tutanchamuns verstauten die Einbalsamierer sorgfältig in Gefäßen. Diese Kanopenkrüge liegen heute im Museum von Kairo. »Die wurden bislang gar nicht untersucht, das wäre noch mal interessant.«
(US)
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